Pharmaunternehmen haben im Jahr 2024 in Deutschland 43 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen auf den Markt gebracht. Das ist der vierthöchste Wert der vergangenen 20 Jahre und eine deutliche Steigerung gegenüber 2023, als es 30 Neueinführungen gab. Hinzu kamen 22 Medikamente, deren Anwendungsgebiet die Hersteller auf weitere Krankheiten ausdehnen konnten. Die 43 Medikamente mit neuem Wirkstoff, die 2024 in Deutschland eingeführt wurden, verteilen sich wie folgt auf verschiedene Anwendungsgebiete:
- Krebserkrankungen: 12
- Immunologische Erkrankungen: 10
- Infektionskrankheiten: 6
- Stoffwechselkrankheiten: 3
- Neurologische Krankheiten (ohne Krebs und Autoimmunkrankheiten): 2
- Gynäkologische Krankheiten (ohne Krebs und Infektionskrankheiten): 2
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: 1
- Muskelerkrankungen: 1
- Knochenerkrankungen: 1
- Blutungskrankheiten: 1
- Bildgebende Verfahren: 1
- Sonstige: 3
Zu den „immunologischen Erkrankungen“ zählen Autoimmunkrankheiten, allergische Erkrankungen und angeborene Immundefekte.
Zwölf Arzneimittel gegen Krebs
Besonders viele Neueinführungen gab es 2024 für Krebspatienten: Elf Arzneimittel kamen gegen verschiedene Tumorarten auf den Markt, ein weiteres zur Linderung der Neutropenie, einem Mangel an bestimmten weißen Blutkörperchen nach einer Chemotherapie.
Sechs der elf Medikamente gehören zu den Kinase-Hemmern. Sie blockieren jeweils eine oder mehrere der zahlreichen Kinasen, die in Zellen als Schalter die Zellteilung steuern. Bei vielen Krebserkrankungen sind sie so mutiert, dass sie eine rasche Zellvermehrung fördern.
Zwei neue Reserveantibiotika zugelassen
Neue Antibiotika, die auch gegen multiresistente Bakterien wirken, werden dringend benötigt. In diesem Jahr haben Unternehmen zwei solche Medikamente auf den Markt gebracht. Bei beiden schützt ein zweiter Wirkstoff den eigentlichen Antibiotika-Wirkstoff, indem er ein Enzym der Bakterien ausschaltet, das sonst den Antibiotika-Wirkstoff zerstören würde. Als Reserveantibiotika sollen beide Medikamente nur dann zum Einsatz kommen, wenn wirklich multiresistente Bakterien die Krankheit verursachen. „Um auf Dauer mit der Verbreitung neuer Resistenzen Schritt zu halten, sind zwei neue Antibiotika pro Jahr nicht genug“, kommentiert Steutel. „Deshalb ist zu hoffen, dass sich die EU in ihrer Pharmagesetzgebung 2025 dazu entschließen kann, Anreize für die Entwicklung von mehr neuen Antibiotika zu setzen.“
Neue Impfstoffe gegen Tollwut und RSV
2024 kamen zwei neue Impfstoffe auf den Markt: gegen Tollwut und gegen das Atemwegsvirus RSV. Der RSV-Impfstoff ist der erste Boten-RNA-Impfstoff, der vor einer anderen Krankheit als Covid-19 schützt.
18 neue Arzneimittel gegen seltene Krankheiten
In der EU gelten Krankheiten als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 EU-Bürgern daran erkranken. Trifft dies auf ein Medikament zu und gibt es zudem keine zufriedenstellende Behandlungsmöglichkeit oder ist es bestehenden Medikamenten signifikant überlegen, kann die Europäische Arzneimittelagentur auf Antrag den „Orphan Drug Status“ zuerkennen. Dies geschah bei insgesamt 18 der neu eingeführten Medikamente (42 Prozent). Insgesamt wurden aber sogar 27 Medikamente (63 Prozent) zur Behandlung seltener Erkrankungen neu auf den Markt gebracht. Dazu Steutel: „Das zeigt das anhaltende Engagement der Branche dafür, dass auch Patientinnen und Patienten nicht unversorgt bleiben, deren Krankheit nicht häufig vorkommt.“
Gleich drei der Medikamente dienen der Behandlung von Menschen mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH), einer Krankheit, bei der das Immunsystem u.a. rote Blutkörperchen angreift. Zwei Medikamente kamen gegen Myastenia Gravis heraus. Patienten mit dieser Krankheit leiden an Muskelschwäche, weil Attacken des Immunsystems die Übertragung von Nervensignalen auf die Muskeln beeinträchtigen.
Chemisch-synthetische Herstellungsart im Fokus
Ungewöhnlich für den Jahrgang 2024 ist, dass 30 und damit 70 Prozent der neuen Wirkstoffe ganz oder teilweise chemisch-synthetisch hergestellt werden. In den Jahren 2022 und 2023 waren es nur 41 bzw. 33 Prozent. „Daran sieht man, dass auch die Chemie weiter große Bedeutung für Arzneimittelinnovationen hat“, so Steutel. 13 (28 Prozent) der neuen Arzneimittel enthielten gentechnisch hergestellte Proteinwirkstoffe, in einem Fall gekoppelt mit einem chemischen Wirkstoff. Gen- oder Zelltherapien kamen 2024 nicht hinzu, weitere sind erst 2025 zu erwarten.
Nur eins von 43 Arzneimitteln kommt aus deutschem Labor
Nur bei einem der 43 neuen Medikamente wurde der Wirkstoff unter Beteiligung deutscher Labore entwickelt: bei einem Mittel gegen paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie. An der klinischen Erprobung von 31 Medikamenten (72 Prozent) waren deutsche Krankenhäuser oder Arztpraxen beteiligt. „Doch mit dieser Quote sollte sich Deutschland künftig nicht zufriedengeben“, betont Steutel. „Es sollte seine Attraktivität für klinische Studien wieder so steigern, dass Unternehmen bei möglichst vielen ihrer Medikamente hiesige medizinische Einrichtungen einbeziehen. Es sei denn, es ginge um Tropenkrankheiten. Mit dem Medizinforschungsgesetz hat die Bundesregierung die Weichen dafür richtig gestellt; doch viel hängt davon ab, ob die nächste Regierung es auch vollständig umsetzt.“
Fortschritte auch durch Zulassungserweiterungen
Pharmaunternehmen haben nicht nur neue Medikamente auf den Markt gebracht: Gleich 22 Mal haben sie auch vorhandene Medikamente gegen zusätzliche Krankheiten anwendbar gemacht, indem sie nach einschlägigen klinischen Studien Zulassungserweiterungen erwirkt haben. Die meisten solchen Erweiterungen betrafen Krebserkrankungen.