Pharma-Talk mit Arne Rehm von Schreiner Medipharm über Pharma 4.0

Vom Reagenzglas zum Patienten

Arne Rehm Schreiner Medipharm

Alles ist heutzutage 4.0, selbst die Pharmabranche kommt nicht daran vorbei. In einem Interview mit pharmaindustrie-online.de zeigt Arne Rehm von Schreiner Medipharm, wie weit die Branche beim Thema "Pharma 4.0" ist. Der Produktmanager für RFID/NFC Solutions erläutert zudem, warum Pharmaunternehmen den Patienten verstärkt in den Mittelpunkt rücken und wie Zulieferer wie beispielsweise Etikettenhersteller neue Technologien bereitstellen, die die Hersteller von Arzneimitteln dabei unterstützen.

1) pharmaindustrie-online.de: Herr Rehm, ob Industrie, Arbeitsplatz oder Verpackung - aktuell ist alles 4.0, selbst die Pharmabranche kommt nicht daran vorbei. Welche aktuellen Trends und Herausforderungen identifizieren Sie hier im Austausch mit Ihren Kunden in der pharmazeutischen Industrie?
4.0 ist tatsächlich in der Pharmaindustrie angekommen, für die Hersteller ist das ein wichtiges Thema. Aber hier sehen wir auch direkt die erste Herausforderung, denn selbst Industrie 4.0 ist nicht eindeutig definiert. Es besteht eine große Unsicherheit in der Branche, in welche Richtung man sich bewegen muss und was man damit überhaupt erreichen will.

Gerade die dahinterliegenden Trends sind entscheidend, denn warum will man überhaupt einen 4.0-Status erreichen? Da spielen kostengetriebene Themen wie Effizienzsteigerung, erhöhte Produktivität und die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen eine Rolle. Hier setzt Automatisierung innerhalb der Produktion und der Supply Chain an. Gleichzeitig müssen die pharmazeutischen Unternehmen aber auch alte und neue Bedürfnisse der Patienten erfüllen, über die eigentlichen Therapien hinaus. Ein Schlüsselbegriff in diesem Kontext ist „Patient Centricity“. Zusammengefasst geht es bei Pharma 4.0 also um die Vernetzung der Wertschöpfungskette bis hin zum Patienten, denn die Integration des Patienten gewinnt hier an Bedeutung.

2) pharmaindustrie-online.de: Was genau verstehen Sie unter Patient Centricity? Können Sie vielleicht ein Beispiel aus der Praxis nennen?
Pharmaunternehmen stellen den Patienten immer mehr in den Fokus, aber warum machen sie das? Wir sehen große Herausforderungen für die Branche. Die Gesundheitssysteme werden immer teurer, der Kostendruck steigt, viele Medikamente verlieren ihren Patentschutz. Die Hürde für Neuzulassungen wird immer größer, denn die neuen Kandidaten müssen eine verbesserte Wirksamkeit gegenüber etablierten Wirkstoffen aufweisen und Biosimilars verstärken den Druck zusätzlich.

Die Menschen sind heutzutage sehr viel besser informiert, die Digitalisierung trägt dazu bei und lässt sie auch Therapien kritisch hinterfragen. Patienten hier abzuholen ist ebenfalls ein Aspekt von Patient Centricity.

So bieten pharmazeutische Unternehmen ihren Patienten beispielsweise zusätzliche Services an, um Hilfestellung bei der Medikamenteneinnahme zu geben. Nur wenn Medikamente richtig eingenommen werden, können sie ihre volle Wirksamkeit entfalten. Die Adhärenz muss verbessert werden. Der Patient soll sich gut betreut fühlen und eine gewisse Treue zum Medikament und damit zum Pharmaunternehmen aufbauen.

Auch der Bereich der Selbstmedikation wächst immer stärker, ob zu Hause oder auch in Pflegeeinrichtungen. Die dabei eingesetzten Devices sind teils recht erklärungsbedürftig. Hier muss es gelingen, die Patienten oder ihre Pfleger an dieser Stelle abzuholen und zu unterstützen. Bei sehr hochpreisigen Produkten wird in der Eingewöhnungsphase medizinisches Fachpersonal zur Seite gestellt, um den richtigen Umgang mit den Arzneimitteln zu erlernen. Digitale Hilfsmittel wie Video Tutorials sind ein Ergänzung, damit der Patient oder das Pflegepersonal autarker wird.

3) pharmaindustrie-online.de: Welche Möglichkeiten bieten Ihre Lösungen?
Mit unseren Lösungen unterstützen wir pharmazeutische Unternehmen, die Herausforderungen hinsichtlich Erfüllung der Patientenunterstützung, der Verarbeitungsprozesse und auch Logistik zu meistern. Hier können Technologien wie NFC oder RFID als digitale Schnittstelle einen Beitrag leisten. Beispielsweise bieten wir so genannte „Patient Compliance Monitoring Lösungen“, mit denen über ein Transferlabel das Einnahmeverhalten überwacht werden kann. Diese Transferlabel können in vorhandene Produktionslinien für Blisterverpackungen integriert werden, ohne das Produktdesign zu verändern. Es ist für die Pharmahersteller wichtig, so nahe wie möglich am bestehenden Prozess zu bleiben. Die Daten über die Art der Einnahme können dann an ein Smartphone oder an den behandelnden Arzt übermittelt werden. So kann der Patient dabei unterstützt werden, die Medikamente in der notwendigen Regelmäßigkeit einzunehmen, damit sie auch optimal wirken. Auch kann der Arzt im Bedarfsfall die Dosierung individuell anpassen.

Natürlich muss bei einem 4.0-Ansatz im Pharmabereich die Frage gestellt werden, was man überhaupt datenschutzrechtlich und regulatorisch erfassen darf. Wir gehen stark davon aus, dass es verschiedene Evolutionsstufen geben wird. Am Ende dieser Entwicklung sollte der Patient keine weiteren Aufgaben der Informationsübermittlung mehr übernehmen müssen und alle Stakeholder wie etwa Versicherungen und Ärzte sind unter Berücksichtigung des  Datenschutzes entsprechend mit den wesentlichen Daten versorgt. Hier wird auch das Thema „Pay for Performance“ eine wichtige Rolle spielen, wenn man beispielsweise an die hohen Preise neuer Therapien denkt, wie etwa bei Hepatitis C. Die Wirksamkeit steht im Fokus, kann aber nur bei konformer Einnahme erzielt werden. Besonders Versicherungen als Kostenträger haben, neben dem Patienten selbst, hieran ein starkes Interesse. Deshalb sehen wir auf das Compliance Monitoring in der Zukunft eine stärkere Bedeutung zukommen.

Was konkrete Anwendungen betrifft, werden in der Praxis beispielsweise Pens eingesetzt, um Arzneimittel sicher zu injizieren. Auf den Beipackzetteln wird mithilfe von Beschreibungen und Piktogrammen die richtige Anwendung erklärt. Doch manchmal ist das nicht so einfach zu verstehen. Wenn man die korrekte Benutzung besser verständlich darstellen kann, beispielsweise über kurze Erklärvideos, profitiert der Patient. Das lässt sich über klassische Technologien wie den QR-Code realisieren, nur potenziell stehen diese in Konkurrenz zu anderen Inhalten und Codes auf den Etiketten. NFC, das wir hier als Alternative sehen, hat den Charme, dass man außer einem kompatiblen Smartphone nichts weiter benötigt und wesentlich weniger „sichtbaren“ Platzbedarf hat. Man berührt das Produkt mit dem Gerät und bekommt über mobile oder Web-Applikationen Gebrauchs- und Zusatzinfos, kann die Website aufrufen oder den direkten Link zu den Ansprechpartnern beim Pharmahersteller zur Verfügung stellen. Zudem erhält der Anwender eine einfach verständliche Information, ob es sich um ein Originalprodukt handelt. Die Gestaltung der Inhalte ist hier extrem flexibel.

Der dritte Bereich, den wir adressieren, basiert auf dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Dabei kommunizieren Verbrauchsmaterialien wie Medikamente in Ampullen oder Vials mit einem Gerät, das automatisch erkennt, ob sie zueinander passen. Smarte Devices können so dem medizinischen Fachpersonal und dem Patienten zuhause die Anwendung erleichtern. Medikamente werden hier authentifiziert, das Gerät erkennt, ob das Produkt schon einmal verwendet wurde, sich innerhalb des Haltbarkeitsdatums befindet oder ob es sich um ein Original handelt. Solche Infos können auf einem RFID-Chip gespeichert und über ein smartes Gerät ausgelesen werden. So muss der Arzt oder Patient in der Handhabung nicht viel tun, das Gerät agiert selbstständig.

Um auf den großen Maßstab zurückzukommen: In der industriellen Anwendung, also in der Verarbeitung, gilt es zu klären, welche Daten an welcher Stelle erfasst werden, wie sie genutzt werden und wer Zugriff auf sie hat. Vor allem muss klar sein, was damit gesteuert wird. Für die Serialisierung spielt RFID nur eine Nebenrolle, da sich der Data-Matrix-Code als Standard durchgesetzt hat. Aber um intralogistische Prozesse zu optimieren, bietet sich die Technologie als Add-on an. Ein Anwendungsbeispiel ist Bulkware ohne finales Label. Hier ist die Informationsweitergabe über RFID möglich. Auch Intralogistikprozesse über Paletten lassen sich so automatisieren. Es geht darum, die Prozesse sicher zu gestalten bis hin zu Laborprozessen. Entscheidend ist die konkrete Aufgabenstellung, für die wir dann gemeinsam mit dem Kunden die passenden Lösungen entwickeln.

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