Pharma-Talk mit Dr. Hagen Gehringer von Bausch+Ströbel über flexible, robuste und modulare Pharmaproduktion

Vom Reagenzglas zum Patienten

Dr. Hagen Gehringer, CEO Bausch+Ströbel

Die Pharmaindustrie braucht in der Entwicklung neuer Medikamente Durchhaltevermögen. Schafft ein Wirkstoff die Zulassung und geht in die Produktion, ist besonders die Abfüllung ein kritischer Prozess. In einem exklusiven Pharma Talk-Interview spricht Dr. Hagen Gehringer, Technikvorstand beim Maschinenbauer Bausch+Ströbel, darüber, wie sich die Herstellung flexibler gestalten und damit mehr Robustheit, Effizienz und vor allem Sicherheit in den Prozess bringen lässt. Der passionierte Radsportler erklärt hier, wie sich der kontinuierliche oder getaktete Produktionsprozess auflösen lässt, um Engpässe zu beseitigen. Und er stellt die Idee vor, eine starre Linien- in eine Matrixproduktion im Reinraum zu verwandeln. 

Herr Dr. Gehringer, im Mai 2023 hat sich die Pharma- und Verpackungsbranche nach sechs Jahren wieder auf der Interpack getroffen. Welches Fazit ziehen Sie als Aussteller?

Aus unserer Sicht war es eine sehr gute Messe. Wenn wir das Niveau mit der Zeit vor Corona vergleichen, hatten wir zwar nicht so viele Besucher am Stand. Aber die Qualität der Gespräche war ausgezeichnet. Viele Gespräche dauerten länger als zwei Stunden, weil unsere Gesprächspartner großes, fachliches Interesse zeigten, sich unsere Exponate anschauten und sich wirklich Zeit nahmen. Das werte ich als gutes Feedback für unsere ausgestellten Lösungen. Wenn das bei uns der Fall war, dann konnten sicher auch andere Unternehmen die Interpack als gute Messe verbuchen. Insofern ziehe ich insgesamt ein sehr positives Fazit und finde es gut, dass es wieder Messen mit einer sehr starken Fachorientierung gibt.

In der Entwicklung von neuen Therapien spielen personalisierte Medikamente eine immer größere Rolle. Welchen Ansatz verfolgt ihr Tochterunternehmen „KyooBe Tech“ mit seinen modularen Technologieplattformen für die zukünftige Pharmaproduktion?

„KyooBe Tech“ beherbergt zwei Technologien. Das eine ist die Inaktivierung von Impfstoffen. Das ist ein eigenes spannendes Gebiet. Die andere dreht sich um die personalisierte Medikation. Es gibt bereits Therapien auf dem Markt, die sich als wirksam erweisen. Aber diese sind noch sehr teuer, da sie im Labormaßstab durchgeführt werden. Zudem ist die Herstellung zeitintensiv, da jeweils nur eine geringe Anzahl Therapien parallel produziert werden kann. Der Ansatz, den wir haben, ist eine Art Mini-Fabrik, die eine deutlich größere Ausbringung ermöglicht. Hier herrschen sehr hohe Qualitätsstandards - noch höher als im Labor, weil die menschliche Einflussgröße außen vor bleibt. So wird ein dezentraler Ansatz möglich. Denn personalisierte Medikation sollte unserer Meinung nach in der Nähe von Patienten stattfinden. Es kann das Vertrauen in die Therapie stärken, wenn das individualisierte Medikament nicht erst Hunderte von Kilometern transportiert werden muss, bevor es beim Patienten ankommt. Für die Nähe zum Patienten stellen wir Pharmaunternehmen eine skalierbare Plattform zur Verfügung. Hersteller können so nach ihren individuellen Anforderungen und abhängig von der Produktionsmenge der personalisierten Therapien dieses Mosaik, wie wir es nennen, gestalten.

Daten gewinnen auch in der Pharmaproduktion an Bedeutung. Bausch+Ströbel kann mit der zentralen Plattform Omnia seine Produktionsanlagen direkt ab Auslieferung in die Kundensysteme integrieren. Wie profitieren die Kunden davon?

Zunächst muss unterschieden werden, um welche Daten es sich handelt. Das sind klassische pharmazeutische Daten wie die Batchgröße oder die Anzahl der Gutobjekte. Hinzu kommen Daten aus der Qualitätskontrolle, die unsere Kunden in „Historians“ speichern. Dann gibt es die Maschinendaten, die häufig in MES-Systemen verwendet werden. Hier stellen wir über Omnia sehr viele Daten zur Verfügung, zum Teil auch vorverarbeitet, so dass die Kunden diese in ihren gängigen MES-Systemen nutzen können. Wenn ein Kunde kein übergeordnetes Produktionsmanagementsystem hat, kann er unsere Plattform nutzen, um genau diese Maschinendaten in Omnia im Sinne eines MES zu verwenden. Und die dritte Art von Daten sind die klassischen Informationen, die benötigt werden, um ein System zu bedienen, zu warten und einen Batch-Prozess bestmöglich zu starten und durchzuführen. In Omnia ist eine Bedienerführung integriert. Formatwechsel sind bereits abgebildet, so dass diese standardisiert und vor allem qualitätsgesichert durchgeführt werden können. Außerdem ist eine Troubleshooting-Funktion enthalten, falls Probleme im Prozess auftreten sollten.

Über weitere Schnittstellen kann der Anwender die gewonnenen Daten in andere Systeme übertragen. Darüber hinaus können die Daten an der Maschine, aber auch auf Remote-Geräten wie Tablets oder Smartphones ausgewertet werden. So lassen sie sich außerhalb des sensiblen Raumes analysieren, um dann im Reinraum wieder zielgerichtet handeln zu können. Bei all diesen Vorteilen ist es unser Ziel, dass der Kunde die Zeit an der Maschine effizient für die Produktion nutzen kann. Hier trägt Omnia dazu bei, eine hohe Produktivität einfach und qualitätssicher zu erreichen.

Auf der Interpack haben Sie das Abfüll- und Verpackungssystem „CombiSys“ mit einem neuen Transportsystem vorgestellt, das sowohl getaktet als auch kontinuierlich läuft. Welche Idee steckt dahinter?

Viele Ideen sind in das neue System eingeflossen. Wir wollten die Trennung der Maschinenfunktionsart „kontinuierlich“ und „getaktet“ auflösen. Der Durchlauf, ob getaktet oder kontinuierlich, bestimmt die Funktionen der Anlage. Früher regelte die Königswelle den Zyklen-Takt der Maschine. Mit dem neuen Transportsystem können wir die einzelnen Funktionen wie Füllen oder Verschließen isoliert voneinander optimieren. Das Transportsystem hat die Aufgabe, alle Packmittel rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Pro Prozessschritt kann die jeweilige Anzahl der Objekte fest definiert und an gewünschten Stellen reduziert oder wieder zu größeren Gruppen zusammengeführt werden. So können wir beispielsweise an verschiedenen Stationen von sechsstellig auf vierstellig wechseln. Dadurch wird ein potentieller Flaschenhals aufgelöst und die Produktivität der Anlage erhöht. Damit können wir den Kunden deutlich mehr Flexibilität für ihren Abfüllprozess bieten und auf kundenspezifische Wünsche eingehen. Ein weiterer Effekt ist das nochmals deutlich gesteigerte Hygienedesign. Mit unserem Transportsystem haben wir beispielsweise deutlich weniger Zangen und können diese einfach herausnehmen und autoklavieren. Dadurch schaffen wir sehr glatte und gut reinigbare Oberflächen und Konturen. Wenn ein Formatwechsel notwendig ist, können wir die Formatteile zudem über die neue Verbindungstechnik wesentlich schneller entnehmen und wieder einsetzen. Insofern sind wir flexibel und schnell.

Für die Vision, mehr Modularität in den Reinraum zu bringen, um Arzneimittelherstellern so mehr Flexibilität zu schenken, hat Bausch+Ströbel auf der Messe viel Applaus bekommen. Können Sie uns das neuartige Konzept „Genex“ kurz beschreiben? Wie weit ist das Projekt vorangeschritten und wann wird es Einzug in die Praxis halten?

Verlassen wir für einen Moment den Pharmabereich, so stellen wir fest, dass die Matrixproduktion in vielen Industrien Einzug hält. Sie hat den Vorteil, dass die Produktionsschritte nicht mehr starr gekoppelt sind. Diese Entkopplung wird erreicht, indem die Produktion in einzelne Zellen aufgeteilt wird, welche durch manuellen oder automatisierten Transport verbunden werden. Ein großer positiver Effekt der Matrixproduktion ist die hohe Flexibilität und Robustheit der Produktion. Wenn in einem Produktionsschritt eine Störung auftritt, kann man den Produktionsprozess umrouten und ihn so aufrecht erhalten. Diese Idee übertragen wir auf die Pharmaproduktion. Normalerweise sind Pharmaprozesse auf einer Anlage mehr oder weniger verkettet. Diese traditionellen Produktionsstrukturen lösen wir mit „Genex“ auf, um die Flexibilität der Matrixproduktion auch den Pharmaherstellern anzubieten: Mit den gleichen Effekten einer robusten Produktion. Selbstverständlich haben wir die Anforderungen aus dem „Annex 1“ berücksichtigt.

Im System „Genex“ können wir die Matrixproduktion in verschiedenen Ausbaustufen zur Verfügung stellen. Der Kunde kann mit einer konventionellen Linie beginnen, die aus drei verketteten Einheiten besteht. Die Überführung in eine Matrixproduktion gelingt dann relativ einfach, da die einzelnen Prozesse unverändert bleiben. Nur deren Verbindung wird variabler gestaltet und damit verändert. Es ist möglich, alle Parameter des Prozesses in die Dezentralisierung zu übernehmen. Wir glauben, dass die Matrixproduktion in Zukunft favorisiert sein wird, vor allem im kleinen und mittleren Chargenbereich. Mit den Vorteilen, die ich genannt habe: Robustheit, Flexibilität und auch pharmazeutisch gerechter als die bisherigen Lösungen.

Eine persönliche Frage zum Abschluss: Haben Sie außerhalb der Arbeit eine Lieblingsbeschäftigung?

Ich fahre unheimlich gerne Fahrrad, egal ob Rennrad, Gravel- oder Mountainbike. Beim Radfahren braucht man vor allem Ausdauer und Durchhaltevermögen - vor allem bei Bergetappen. Und das hilft auch im beruflichen Alltag. Die Pharmaindustrie ist - nicht zuletzt aufgrund der hohen regulatorischen Anforderungen - nicht die schnellste Branche, wenn es darum geht, neue Ansätze zu adaptieren. Da sind Ausdauer und Beharrlichkeit von Nutzen.

Herr Dr. Gehringer, wir bedanken uns für das interessante Gespräch!

 

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