Vom Reagenzglas zum Patienten
Pharma-Talk mit Peter Bartholomäus von Infraserv Wiesbaden
Montag, 10. Februar 2020
| Redaktion
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Peter Bartholomäus, Geschäftsleitungsvorsitzender Infraserv Wiesbaden (ISW)
Peter Bartholomäus, Geschäftsleitungsvorsitzender Infraserv Wiesbaden (ISW), Bild: pharmaindustrie-online.de / Susanne Woggon

Der Standortbetreiber und Industrieparkdienstleister Infraserv Wiesbaden (ISW) betreibt den 96 Hektar großen Industriepark Kalle-Albert in Wiesbaden. Susanne Woggon von pharmaindustrie-online.de sprach mit dem Geschäftsleitungsvorsitzenden Peter Bartholomäus über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Arzneimittelherstellern. Kompetenzen zu strengen Pharmastandards hat das Unternehmen bereits in einem ersten Pilotprojekt in Marburg bewiesen. Von diesem Wissen sollen in Zukunft auch andere Pharmaunternehmen profitieren.

pharmaindustrie-online.de: Wir hätten uns einen besseren Einstieg gewünscht, aber die Weltwirtschaft schwächelt gerade und die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland ist rückläufig. Macht sich die aktuelle Situation im ISW-Tagesgeschäft bemerkbar?

Dem Industriepark als solches geht es hervorragend. Wir müssen aber zwischen kurz- und langfristigen Effekten unterscheiden. Kurzfristig nehmen die Sorgen am Standort zu. Dabei geht es vor allem um allgemeine Unsicherheiten, wie zum Beispiel durch den Handelskonflikt zwischen den USA und China oder den Brexit. Wir haben hier sehr anlageintensive Industrien angesiedelt, die mit langen Abschreibungszeiten rechnen. Angesichts des politischen Umfelds gibt es momentan überall eine Scheu vor großen Investitionen. Auch unsere Kunden agieren deshalb momentan mit eher kurzfristigen Entscheidungshorizonten.

Langfristig sind wir jedoch gut aufgestellt. Wir sind gerade dabei, unsere Strategie 2019-2025 zu überprüfen und bis 2030 zu verlängern. Diese Arbeit soll uns den Weg weisen, mit welchen Leistungen wir in zehn Jahren unsere Kunden zufriedenstellen und Geld verdienen können. Mit der umfangreichen Modernisierung unseres Kraftwerks und dem Bau eines neuen Gefahrstofflagers haben wir zuletzt sehr große Investitionen in die Infrastruktur eingeleitet. Beide Projekte sind auch auf mehr Nachhaltigkeit ausgelegt und grundlegende Voraussetzungen, um unseren Kunden dauerhaft wettbewerbsfähige Standortbedingungen zu bieten.

Eine kontinuierliche Aufgabe ist daneben die Optimierung der Flächennutzung, und mittelfristig verfolgen wir das Ziel eines Standortausbaus. Das alles gelingt nur, wenn permanent in Nachhaltigkeit und Infrastruktur investiert wird. Zusammengefasst machen wir uns langfristig keine Sorgen, aber kurzfristig ist das Geschäft sicherlich etwas schwieriger geworden.

pharmaindustrie-online.de: ISW möchte seine Kompetenz im Bereich Rohrleitungssysteme für die Getränkeproduktion eventuell auch auf Pharma übertragen. Wie ist hier der aktuelle Status?

Wir kommen aus der Chemieindustrie, wo überwiegend Schwarzstahl verbaut ist. Zudem kennen wir uns auch aus mit Edelstahlleitungen in der Getränkeindustrie, die aufwändigere Dokumentationen verlangen und höhere Sicherheitserfordernisse rund um das Thema Reinlichkeit haben. In der Pharmaindustrie gibt es noch strengere Standards beispielsweise durch die geforderte FDA-Konformität. Das bedingt eine sehr hohe Genauigkeit bei der Herstellung von Produktions- oder Verpackungsanlagen ebenso wie beim Transport der Wirkstoffe und aller benötigten Medien. Es darf keinerlei Rückstände in den Leitungen geben, um die Endprodukte optimal sicher auf den Markt bringen zu können.

Mit unserer breiten Erfahrung mit dem Thema Produktionssicherheit, der Definition und Einhaltung sogenannter „Good Manufacturing Practices“ in unterschiedlichsten Bereichen und unserem ausgeprägten Bewusstsein für Top-Qualitätsstandards, möchten wir zukünftig auch verstärkt Arzneimittelhersteller ansprechen und uns als Dienstleister anbieten. Ohne Details nennen zu können: In Marburg haben wir kürzlich ein erstes Projekt im Rohrleitungsbau im Pharmaumfeld erfolgreich realisiert. Deshalb sind wir zuversichtlich, auch in unserer Nachbarschaft im Rhein-Main-Gebiet, wo viele Pharmaunternehmen angesiedelt sind, Kundenkontakte zu vertiefen beziehungsweise diese auszubauen und in absehbarer Zeit weitere Pharma-Projekte anzugehen.

Konkret prüfen wir aktuell Möglichkeiten für die Einrichtung neuer Werkstätten, die eine saubere, einwandfreie und normgerechte Verarbeitung der im Pharmasektor verwendeten Werkstoffe ermöglichen. Parallel sind wir außerdem dabei, die Integration der in dieser Branche besonders aufwändigen Dokumentationspflichten in unseren Systemen abzubilden. Das übergeordnete Ziel ist dabei, nicht nur sämtliche Dokumentationsstandards einhalten zu können. Wir wollen hier auch moderne digitale Anwendungen zum Einsatz bringen, um den Kundenkontakt und beispielsweise die Auftragsabwicklungen zu erleichtern. Darüber hinaus geht es perspektivisch auch um die optimale, digital unterstützte Überwachung, Wartung und Instandhaltung der von uns angebotenen und verbauten Leitungssysteme.

Für andere Industriezweige haben wir bereits eine digitale Plattform im Bereich der Auftragsabwicklung von Wartungsarbeiten im Einsatz. Diese Neuerung haben wir mit einem externen Partner realisiert. Sie beinhaltet ein mobiles Endgerät, mit dem unsere Techniker vor Ort alle notwendigen Schritte für einen Wartungsauftrag dokumentieren – von der Angebotserstellung bis hin zur Ergebniskommunikation an den Kunden. Der Kunde kann jederzeit auf seine Daten zugreifen, Papierformulare entfallen und die Kommunikation erfolgt per Mausklick in Echtzeit. Derartige, sogenannte mobile und digitale Assistenzsysteme für die Instandhaltung lassen sich branchenübergreifend einsetzen und auch auf die stark regulierte Pharmabranche übertragen.

pharmaindustrie-online.de: Vernetzung ist nicht nur ein Schlagwort in der Produktion. Auch die Zusammenarbeit bzw. Kooperation mit anderen Experten wird immer wichtiger. ISW arbeitet beispielsweise aktuell gemeinsam mit dem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Darmstadt und Fraunhofer LBF an einem Predictive Maintenance Projekt zur Erkennung von Rissbildung im Gehäuse von Maschinen. Können Sie den Ansatz bitte erläutern?

Vernetzung ist ein beherrschendes Thema in der Fachdiskussion. Selbst große Konzerne können heute kaum mehr alle Kompetenzen im eigenen Haus vorhalten, die benötigt werden, um komplexe Digitalisierungsthemen zu bewältigen. Hinzu kommt, dass Spezialisten immer nur über Ausschnittwissen verfügen. Da stellt sich die Frage, wer all dieses Wissen in einen konstruktiven Prozess zusammenführt. Kooperationen sind dafür aus unserer Sicht sehr wertvoll. Es bedarf mitunter Partner, die spezielle Fachexpertisen mitbringen oder andere, die einen breiten Überblick haben, was zum Beispiel in der Produktion benötigt wird und welche Daten für eine bestimmte Aufgabenstellung relevant sind.

Bei der intelligenten, vorausschauenden Instandhaltung von Maschinen und Anlagen braucht es beispielsweise hochaktuelles Wissen, das kontinuierlich weiterentwickelt wird. Universitäten und Forschungseinrichtungen sind zumeist Speerspitzen, was theoretisches Wissen angeht. Wir haben am Standort Anlagen, die täglich Abermillionen Daten liefern. Mit dem Spezialwissen von Forschungsorganisationen lassen sich diese Datenmenge leichter bewältigen. Vor diesem Hintergrund haben wir keinerlei Berührungsängste, mit jungen Forschern gemeinsam nach technischen oder digitalen Lösungen zu suchen. Hierauf setzen wir auch bei der Zusammenarbeit mit dem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Darmstadt und Fraunhofer LBF. Bei diesem gemeinsamen Projekt geht es darum, auf Grundlage von akustischen Messverfahren, im laufenden Betrieb von Maschinen Risswachstum in Gehäusen zu lokalisieren. Dadurch sollen im Anschluss frühzeitig und zu vorgeplanten Zeiten Instandhaltungsarbeiten an der betroffenen Maschine eingeleitet werden können, bevor es zu ungeplanten Prozessstillständen und oft sehr hohen Folgekosten kommt. Das Projekt macht gute Fortschritte.

pharmaindustrie-online.de: Sie haben die enorme Datenmenge angesprochen – sind all Ihre Kunden schon bereit, Ihnen ihre Daten anzuvertrauen?

Die Bereitschaft, Produkt- und Prozessdaten externen Dienstleistern anzuvertrauen, hängt auch von der Branche und dem Anwendungsgebiet ab. Wenn es um Produktionsabläufe geht, sind Kunden schon deutlich offener als beispielsweise im Bereich rezeptbasierter Chemikalienherstellung oder bei der Pharmaproduktion. Das ist nicht verwunderlich, denn wir reden hier von hochsensiblen Kundendaten. Es gehört ein Menge Vertrauen dazu, diese einem Dienstleister zu überlassen, bzw. auf dessen Rechnerplattformen zu parken. Wenn wir mit externen Einrichtungen zusammenarbeiten, werden Daten deshalb nicht einfach auf einen externen Server einer Universität oder Forschungsinstituten geladen. Vielmehr nutzen wir auch hierfür unser eigenes Rechenzentrum. Cyber Security, also Datensicherheit auch in der Cloud, zählt zu unseren Kernaufgaben.

Auch Pilotprojekte aus dem eigenen Unternehmen helfen, Interesse und Vertrauen für digitale Anwendungen aufzubauen. Vor gut drei Jahren haben wir erstmals so etwas wie einen Prototyp künstlicher Intelligenz eingesetzt. In unserem Kraftwerk wurden rückblickend über zwei Jahre die Daten der Energieproduktion ausgewertet, um optimale Betriebszustände für die Kessel und Turbinen herauszufinden. Am Ende konnten wir den Betrieb der Anlage deutlich optimieren und Kosten einsparen. Am Anfang standen wir allerdings vor einem gigantischen Datenberg. Aber mit dem Know-how unserer Betriebsingenieure und immer besser programmierten Algorithmen konnten wir zügig aufräumen. Schon innerhalb weniger Monate liefert diese KI-Anwendung mit einer Quote von 90 Prozent brauchbare Ergebnisse. Nach einem halben Jahr hatten wir ein System etabliert, das im Viertelstundentakt konkrete Vorschläge für die bessere Kraftwerkssteuerung lieferte.

pharmaindustrie-online.de: Mitte des Jahres hat Infraserv Knapsack seinen Namen in „Yncoris“ geändert. Damit soll der Dienstleistungsfokus stärker betont werden. Was halten Sie davon und ist ähnliches auch für InfraServ Wiesbaden geplant?

Es gibt immer Vor- und Nachteile bei der Änderung von Firmennamen. Wir haben in den letzten Jahren für die ISW-Technik ein sehr starkes Markenprofil für Kunden im Industriepark und für Mittelständler in der Region entwickelt. Es gibt keinen Grund, daran zu rütteln. Als Gesamtkonzern überprüfen wir aber auch regelmäßig, wie wir uns am besten positionieren. Der Begriff Infraserv hat einerseits große Strahlkraft, andererseits ist er auch von den Industrieparks in Hoechst, Gendorf und bis zuletzt auch Knapsack besetzt. Dies gilt es gegeneinander abzuwägen. Im Rahmen der Überprüfung unserer Unternehmensstrategie werden wir auch dieses Thema neu beleuchten. Mehr lässt sich dazu aktuell nicht sagen.

pharmaindustrie-online.de: Zum Abschluss eine persönliche Frage: In Wiesbaden gibt es einiges zu entdecken. In Ihrer Freizeit sind Sie am liebsten …?

Unser Industriepark ist mir sehr ans Herz gewachsen, deshalb bin ich hier oft unterwegs und schaue mir auch neben der normalen Arbeitszeit den Fortschritt auf unseren Baustellen an. Im normalen Tagesgeschäft schaffe ich das leider zu selten. Bei solchen Besichtigungen ohne Termindruck kommen mir nicht selten neue Ideen, wie das eine oder andere Vorhaben vorangebracht werden kann. Daneben verbringe ich möglichst viel Zeit mit meiner Familie, mit meiner wunderbaren Frau und unseren zwei Kindern. Am liebsten sind wir gemeinsam auf Reisen und genießen die Zeit fernab des Alltags. Zudem komme ich aus einer großen Familie mit vier Geschwistern, die mir sehr wichtig sind. Und wir haben einen großen Freundeskreis. In der zugegebenermaßen überschaubaren Freizeit haben meine Frau und ich besonders viel Freude beim Besuch von Musikveranstaltungen, wofür es hier in der Rhein-Main-Region ein riesiges Angebot gibt.

Herr Bartholomäus, wir danken Ihnen für das offene und interessante Gespräch!

Hintergrundinformationen
Die Unternehmensgruppe Infraserv Wiesbaden beschäftigt rund 900 Mitarbeiter am Standort und erzielte 2018 einen Umsatz von 185 Millionen Euro. Peter Bartholomäus ist seit 2012 bei ISW als Vorsitzender der Geschäftsleitung tätig. Er ist außerdem Mitglied der Geschäftsleitung bei der Tochtergesellschaft ISW-Technik. Bartholomäus hat Energie- und Verfahrenstechnik studiert und war zuvor in verschiedenen Fach- und Führungsfunktionen in Deutschland und Asien tätig.
 

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