Vom Reagenzglas zum Patienten
Pharma-Talk mit Christof Franzke von Copa-Data über MTP und Modularisierung für die Pharmaproduktion
Dienstag, 09. November 2021
| Redaktion
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Christof Franzke, Copa-Data
Christof Franzke im Interview mit pharmaindustrie-online.de über MTP und Modularisierung in der Pharmaproduktion, Bild: Copa-Data

Seit mehr als 30 Jahren setzt sich Copa-Data dafür ein, Prozesse in der Pharmaproduktion und anderen Prozessindustrien durch Digitalisierung und Automatisierung einfacher zu gestalten. Heute hat die neue Technik einen Namen: „MTP“. Dahinter verbirgt sich Module Type Package, ein Ansatz für die modulare Produktion. pharmaindustrie-online.de hat mit Christof Franzke, Senior Technical Consultant Key Accounts, über Kundenwünsche für die Pharmaproduktion und die Potentiale des neuen Standards gesprochen. Wir erfahren, wie Arzneimittelhersteller sowohl Produktionskosten als auch die Zeit bis zum Produktlaunch signifikant verringern können, werfen einen Blick in die Praxis und zudem einen Ausblick in die Zukunft.

Was bewegt Kunden aus der Pharmaindustrie, die mit Ihrem Unternehmen über Modularisierung sprechen?

Pharmaunternehmen haben eine hohe Innovationskraft. Gleichzeitig sind Forschung und Entwicklung von Wirkstoffen sehr kostenintensiv. Deshalb sind Arzneimittelhersteller bestrebt, trotz hoher regulatorischer Hürden ihre Medikamente möglichst schnell auf den Markt zu bekommen. Studien haben belegt, dass mittels Modularisierung die Time-to-Market um 50 Prozent verkürzt werden kann. Betriebskosten können um bis zu 40 Prozent gesenkt werden. Das sind schonmal beeindruckende Zahlen. Aber unsere Kunden aus der Pharmabranche haben nicht nur monetäre Ziele, auch ökologische Themen rücken zunehmend in den Fokus. Beispielsweise soll der Ressourcenverbrauch gesenkt oder der Ausstoß von CO2 reduziert werden. Auch diese Themen wollen wir mit Modularisierung angehen. Modularisierung ist für unsere Pharmakunden dabei nichts komplett Neues. Die Vorteile von modularen Anlagen sind bereits bekannt. Allerdings hat bisher ein übergreifender Standard gefehlt, was oftmals zu eigenen modularen Konzepten und Insellösungen geführt hat.

Genau hier kommt der Standard MTP ins Spiel. Dieser bietet endlich Modularisierung auf einem breiten, soliden und zukunftsfähigen Fundament. MTP öffnet unseren Kunden die Tür für standardisierte und herstellerübergreifende Modularisierung. MTP hilft Insellösungen aufzubrechen und ist die Antwort auf aktuelle Anforderungen wie schnellere Ramp-Ups, kürzere Time-to-Market, größtmögliche Flexibilität sowie Kostenreduktion.


Was ist das Neue daran und welche Vorteile bietet der neue Standard?

Modularisierung an sich ist nichts Neues. Wir denken bereits seit über 30 Jahren modular, unsere Kunden ebenfalls. Neu ist das Spektrum, in dem MTP sich bewegt. Modularität wird nun hersteller- und branchenübergreifend gedacht. Also einmal Modularisierung in der Pharmaindustrie, aber auch in der Prozessindustrie, im Foodbereich und selbst im Schiffbau wird bereits über MTP gesprochen.

MTP funktioniert bildlich gesprochen wie ein Druckertreiber. Man holt ein Modul, liest die Datei ein und kann sehr schnell loslegen. So einfach war es noch nie, Anlagen datentechnisch anzubinden. Wenn man früher aufwendige SPS-Programmierung benötigte, um Produktionssysteme zu erschließen, geht es mit MTP fast mit Plug & Play. Daten wie Steuerung, Netzwerkadresse, Funktion der Alarme etc. werden über MTP ausgeliefert. Das Prozessleitsystem wird automatisch erstellt, und man kann die Produktion starten. Lediglich Basisinfos wie z. B. Rohstoffe, eingesetzte Kühlwasser oder Luftzufuhr, Produktzufuhr und Produktausgabe müssen noch eingegeben werden. Das geht fast ohne Automatisierungswissen, denn das Prozessbild ist durch MTP komplett im Leitsystem beschrieben.

Der MTP-Standard wurde bereits in den Blättern 1-4 unter der Normnummer VDI/VDE/Namur 2658 definiert und veröffentlicht. Weitere Blätter sollen folgen. Noch ist MTP ein deutscher Standard. Wir haben aber auch Kunden aus anderen Ländern, die sich sehr dafür interessieren. Zum Beispiel sind wir im intensiven Dialog mit Herstellern aus Frankreich oder Italien. Sie treiben bereits auf diesem MTP-Standard basierend Konzepte und Evaluierungen voran, um jetzt schon von den Vorteilen zu profitieren. Zukünftig soll der MTP-Standard auch eine IEC-Norm werden und damit den Schritt Richtung Internationalisierung machen.

Wird MTP bereits in der Pharmaindustrie eingesetzt? Was geht schon heute?

Wir sehen auf dem Markt, dass Anlagen- und Maschinenbauer schon heute beginnen, MTP-Dateien zu ihren Anlagen zu entwickeln und bereitzustellen. Sie gestalten ihre Module nach dem MTP-Standard. Anbieter von Leitsystemen entwickeln bereits Process Orchestration Layer, um MTP-Module intelligent und einfach verschalten zu können. Da wird in Kürze einiges von den großen Anbietern auf dem Markt erscheinen. Auch wir als Copa-Data haben in den letzten Jahren sehr intensiv an einer Prozessorchestrierung gearbeitet. Diese ist seit zwei Jahren aktiv im Einsatz. Als technischer Projektleiter bin ich sehr stolz, dass wir bereits 50 Prozessorchestrierungen bei einem deutschen Pharmakunden ausgerollt haben, die bereits produktiv arbeiten. Schon 2019 haben wir auf der SPS-Messe das Pilotprojekt zusammen mit Merck vorgestellt.

Auch zu anderen Pharmaunternehmen pflegen wir intensive Kontakte, was die Einführung von MTP betrifft. Von allen Branchen zeigen Kunden aus dieser Industrie aktuell das größte Interesse. Aber es sind vielleicht die besonderen Anforderungen, wie zum Beispiel Kleinst-Chargenproduktion von Krebsmedikamenten, die erst durch Modularisierung erfüllt werden können. Wenn man hier zwei bis drei Tage aufbaut, die Anlage abgenommen bekommt, am Ende des Tages nur eine Stunde produziert und die Anlage dann wieder abbaut, hatten sie eine Woche Aufwand. Der Stückpreis ist deshalb astronomisch hoch. Aus diesem Grund ist es hier essenziell, möglichst schnell produzieren zu können, dank Modularisierung. Das ist wohl einer der Gründe, warum wir momentan mehr Pharmakontakte für MTP haben. Aber auch in der Lebensmittelherstellung sowie im Schiffbau sind wir mit Kunden in spannenden Gesprächen.

Was übrigens auch ein spannender Aspekt ist: Nicht nur neuzubauende Produktionsstätten profitieren von MTP. Auch bereits existierende Werke, so genannte Brownfield-Anlagen, können über unsere Softwareplattform "zenon Logic Studio" MTP-fähig gemacht werden. So lassen sie sich einfach in die Prozessorchestrierung mittels MTP einbinden. Der Programmieraufwand wird damit signifikant reduziert.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft in der Produktion aus?

Aus unserer Sicht ist Copa-Data bereits heute in der Zukunft angekommen. Wir haben als einer der ersten Anbieter fertige Prozessorchestrierungen draußen im Feld im Einsatz. Wir rechnen fest damit, dass weitere Anbieter aus dem Bereich der Prozessautomatisierung und Steuersysteme uns hier nachfolgen werden. Die MTP-Norm und die neue IEC-Norm werden helfen, diesen Standard hersteller- und branchenübergreifend zu etablieren. Modularisierung über MTP wird das neue Normal.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Wenn Sie sich den ganzen Tag mit technischen Projekten beschäftigen, geht die Leidenschaft dafür auch nach Feierabend weiter oder haben Sie andere Hobbies als Ausgleich zum fordernden Berufsalltag?

Tatsächlich ist meine Freizeit zu großen Teilen nicht digital. Ich gehe gerne Wandern, verwende einen Papierkalender und habe ein großes Herz für Analog-Fotografiere im Kleinbild- und Mittelformat.

Herr Franzke, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Über Christof Franzke
Christof Franzke ist seit 2017 Senior Technical Consultant bei der Copa-Data und erarbeitet dort gemeinsam mit Kunden Lösungen für unterschiedlichste Automatisierungs- und Digitalisierungsaufgaben. Nach einigen Jahre im IT-Bereich ist er später in den Anlagenbau gewechselt und war dort als Automatisierungs-Spezialist für die Lebensmittel und Kunststoffindustrie erfolgreich. Privat ist er stolzer Vater von drei Töchtern, und seine Freizeit ist mit Wandern und Analogfotografie (fast) gänzlich un-digital.
 

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